Henri Matisse – ein "wilder" Maler

Henri Matisse (1869–1954) war einer der bedeutendsten französischen Künstler der Klassischen Moderne. Zusammen mit Pablo Picasso zählt er zu den einflussreichsten Malern des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit André Derain begründete Matisse im Jahr 1905 den Fauvismus, die erste avantgardistische Kunstbewegung des 20. Jahrhunderts. Matisse machte sich einen Namen als „Meister der Farbe“ und Hauptvertreter der Fauves („wilde Tiere“), die radikal mit traditionellen Malereikonventionen brachen. Er entwickelte eine betont flächige, farbintensive Malerei fern jeglicher Perspektivkonstruktion. Diese Innovationen in Farbe, Komposition und Form prägten die weitere Entwicklung der modernen Kunst nachhaltig. Matisse schuf in den folgenden Jahrzehnten ein vielfältiges Werk – von leuchtenden Gemälden und dekorativen Interieurs bis zu seinen berühmten späten Papiers découpés (Scherenschnitten) –, stets getragen von dem Ideal, dass Malerei Freude, Freiheit und sinnliche Harmonie ausstrahlen solle. Seine Bedeutung für die Kunstgeschichte liegt vor allem darin, dass er die Ausdruckskraft der Farbe auf ein neues Niveau hob und damit kommenden Künstlergenerationen den Weg ebnete.

Das Gemälde "Open Window, Collioure" (1905, Öl auf Leinwand, 55,3 × 46 cm (National Gallery of Art, Washington, D.C.) zeigt ein geöffnetes französisches Fenster, dessen Brüstung mit Blumentöpfen gesäumt ist, und eröffnet den Blick auf einen kleinen Hafen am Mittelmeer. Die beiden Fensterflügel schlagen nach innen auf und sind in kräftigem Korallenorange und Weinrot gestrichen. Die linke Innenwand neben dem Fenster leuchtet in einem Pfauengrün-Blau, die rechte Wand in Fuchsiapink – und diese Farben spiegeln sich in den Glasscheiben der geöffneten Fensterflügel. Auf dem Fenstersims stehen drei Blumentöpfe in leuchtendem Rot, Orange und Königsblau; ihre Pflanzen sind mit kurzen Pinselstrichen in Kardinalsrot und Türkisgrün skizziert. Über dem Hauptfenster befindet sich ein Oberlicht mit zwei Scheiben in einer wandfüllenden Fläche von dunklem Waldgrün; durch diese oberen Scheiben sieht man einen Streifen lachsrosa Himmel und darunter Tupfen von Hellgrün und Gelb. Um das Fenster ranken sich zudem grüne Blattmuster – vertikale Striche in Lindgrün und Tannengrün deuten Ranken an, die die Öffnung einfassen. Hinter dem Fenstersims könnte ein schmaler Balkon angedeutet sein, erkennbar als horizontales Band aus Ultramarinblau direkt über den Blumentöpfen. Draußen im Hafen ragen mehrere schmale Schiffsmasten in rostigem Orange empor; die Schiffsrümpfe darunter sind mit breiten, spontanen Zügen in Indigo-Blau, Flamingopink, Grasgrün und kräftigem Gelborange dargestellt. Das Wasser der Hafenbucht ist nicht etwa blau, sondern in horizontalen, welligen Pinselstrichen aus hellem Rosa und Buttergelb gehalten. Darüber erstreckt sich der Himmel in geschwungenen Linien von Stahlblau, Fliederlila und Meergrün. All diese Farben sind unvermischt und leuchtend aufgetragen, mit sichtbaren Pinselstrichen, die an manchen Stellen sogar die ungrundierte Leinwand durchscheinen lassen. Matisse hat das Gemälde unten rechts mit roter Farbe signiert.

Insgesamt wirkt "Open Window, Collioure" wie ein vibrierender Farbrausch am Mittelmeer: Innenraum und Ausblick verschmelzen in intensiven Tönen. Die Malerei lässt beinahe jeden einzelnen Pinselstrich erkennen und besitzt eine unmittelbare Frische, als wäre sie erst gestern gemalt worden. Trotz dieser scheinbaren Spontaneität ist die Komposition wohlüberlegt – die Anordnung der Fensterflügel und Fensterrahmen bildet ein Gerüst aus sich wiederholenden rechteckigen Rahmen im Bild, gewissermaßen Bilder im Bild. Dieses Motiv der offenen Fenster und farbigen Ausblicke wurde zu einem zentralen Thema in Matisses Œuvre und steht exemplarisch für einen neuen Weg in der modernen Malerei, in dem das Gemälde sich von der reinen Abbildung löst und als eigenes Fenster zur Farbe fungiert. 

Hafenansicht in Collioure, Foto: Jorge Franganillo, 2015. 

Collioure – ein malerisches Fischerdorf

Collioure ist ein kleiner katalanischer Fischerort an der französischen Mittelmeerküste (Region Okzitanien, nahe der spanischen Grenze). Matisse reiste im Sommer 1905 in dieses beschauliche Dorf am Meer – ein Aufenthalt, der zu einem Wendepunkt in seinem Schaffen wurde. Begeistert von dem intensiven südlichen Licht und den kräftigen Farben der Küstenlandschaft lud er seinen Freund André Derain ein, sich ihm anzuschließen. Gemeinsam arbeiteten die beiden den ganzen Sommer in Collioure plein air. Derain berichtete beeindruckt, selbst die Schatten in Collioure seien „eine ganze Welt von Klarheit und Leuchtkraft“. Diese Erfahrung inspirierte Matisse und Derain zu einer Explosion der Farbe auf der Leinwand: Sie malten die lokale Landschaft, den Hafen und das Dorf in nie gesehenen, leuchtenden Farbtönen. Die Gemälde Open Window sowie Werke wie Derains "Boote in Collioure" oder Matisses "Luxus, Ruhe und Wollust" entstanden in dieser Zeit und fingen die mediterrane Farbigkeit radikal ein. In der Zusammenarbeit der beiden kristallisierte sich in Collioure ein neuer Stil heraus, der später Fauvismus genannt wurde.

Raum 7 des Salon d'Automnes, in dem auch die späteren Fauves ihre Werke ausstellten, Foto: unbekannt, Public Domain.

Als Matisse und seine Mitstreiter ihre Collioure-Bilder im Herbst 1905 im Pariser Salon d’Automne ausstellten, schlug das wie eine Bombe ein. Das Publikum und konservative Kritiker reagierten teils schockiert und verspotteten die Künstler ob der „grellen“ Malerei. Der Kritiker Louis Vauxcelles prägte in seiner Rezension spöttisch den Namen Fauves („wilde Tiere“), als er Matisses farbgewaltige Werke in einem Saal mit klassizistischen Skulpturen verglich – „wie Donatello unter Wilden“. Dieser Spitzname wurde bald zum offiziellen Begriff für die neue Bewegung. Collioure gilt seither als Geburtsort des Fauvismus, und noch heute erinnert ein „Chemin du Fauvisme“ im Ort mit Reproduktionen an den Plätzen des Geschehens an den Sommer 1905. Neben seiner malerischen Bedeutung ist Collioure bis heute für seine besondere Atmosphäre bekannt: Die Mischung aus südlichem Licht, azurblauem Meer, pastellfarbenen Häuserfassaden und dem historischen Château zieht weiterhin Künstler und Kunsthandwerker an. Kunstmärkte in Collioure bieten u.a. farbenfrohe Keramiken und andere lokale Handwerkskunst an, welche die reiche künstlerische Tradition der Region widerspiegeln.

Farbe als Ausdruck: Fauvismus in "Open Window"

"Open Window, Collioure" wird oft als Ikone des frühen Fauvismus bezeichnet. In diesem Bild demonstriert Matisse eindrucksvoll die Merkmale der fauvistischen Malweise: eine schockierende Palette reiner, ungebrochener Farben und ein energischer, freier Pinselstrich. Die traditionellen Naturfarben sind komplett verlassen – statt realistischer Farbtöne verwendet Matisse komplementäre Kontraste in voller Leuchtkraft. So stehen etwa das kräftige Rosa und Orange der Wände und Fensterläden in direktem Komplementär-Kontrast zum satten Grünblau der Innenwand und den Türkistönen der Pflanzen. Glühendes Fuchsienpink trifft auf Kühlgrün, ein Streifen leuchtendes Orange liegt direkt neben dunklem Ultramarinblau – diese gegensätzlichen Farben steigern sich gegenseitig in ihrer Intensität. Matisse verzichtet fast völlig auf Chiaroscuro, also Hell-Dunkel-Modellierung, und erschafft die Bildwirkung nahezu ausschließlich durch die Farbe selbst. Licht und Schatten werden kaum in herkömmlicher Weise dargestellt; stattdessen „maximiert“ Matisse die Farbintensität jeder Fläche und jedes Objekts, um eine optische Leuchtkraft zu erzielen. Selbst die Schatten – etwa unter dem Fenstersims oder in der Tiefe des Raums – bestehen aus bunten Farbfeldern statt aus gedämpften Tönen. Dieser mutige Umgang mit Farbe verleiht dem Bild eine heitere, lebensvolle Stimmung, die eher einem emotionalen Ausdruck als der bloßen Abbildung der Realität entspricht.

Trotz der scheinbar willkürlichen Farbwahl ist Open Window kompositorisch durchdacht. Matisse kombinierte hier Einflüsse aus dem Post-Impressionismus und der Neoimpressionismus (etwa die Trennung von Farbtupfen) mit einer neuen Spontaneität. Die flirrenden Komplementärfarben und deutlichen Pinselstriche sollten beim Betrachter primär die Sinne ansprechen – Fauve-Künstler wie Matisse wollten eine Kunst schaffen, die unmittelbar auf das Gefühl wirkt, statt eine detaillierte Wirklichkeit abzubilden. Diese Loslösung von der Naturfarbe führte anfangs zu Empörung beim Publikum, doch schon bald erkannte man den ästhetischen Wert dieser revolutionären Farbgesetze. Matisse selbst profitierte von der Aufmerksamkeit – Sammlerinnen wie Gertrude und Leo Stein kauften seine Werke nach dem ersten Schock bereitwillig, und Matisse wurde zum anerkannten Anführer der Fauves.

In Open Window kulminiert der fauvistische Ansatz: Das Bild feiert die Malerei der reinen Farbe. Die „wilden“ Farben sind nicht chaotisch gesetzt, sondern mit Bedacht orchestriert – sie erzeugen ein dekoratives Rhythmusgefühl über die Bildfläche hinweg. Matisse setzte in verschiedenen Bildbereichen unterschiedliche Pinseltechniken ein (lange verwischte Züge für den Himmel, kurze Tupfer für Blätter, breite Striche für die Boote), was ein pulsierendes visuelles Gefüge entstehen lässt. All dies macht deutlich, dass es Matisse nicht um naturalistische Abbildung ging, sondern um die Wirkung der Farbklänge und Formen auf der Leinwand selbst. Open Window, Collioure markiert so den Auftakt einer neuen Auffassung von Malerei, in der Farbe und Komposition autonomer werden – ein wichtiger Schritt in Richtung der Abstraktion in der modernen Kunst.

Innenraum und Ausblick: Raumaufteilung zwischen Drinnen und Draußen

Ein besonderes Spannungsfeld in "Open Window" liegt in der räumlichen Komposition, nämlich im Verhältnis von Innenraum und Außenraum. Matisse spielt hier bewusst mit der alten Metapher, ein Gemälde sei wie ein „Fenster zur Welt“. In seinem Bild wird das Fenster selbst zum Motiv – und Matisse unterläuft die herkömmliche perspektivische Illusion von Tiefe auf raffinierte Weise. Zunächst suggeriert er einen dreidimensionalen Raum: Wir blicken aus einem Zimmer (mit kaum angedeutetem Boden und den Blumentöpfen als Vordergrund) hinaus auf den Balkon und weiter auf das Hafenpanorama bis zum Horizont. Die geöffneten Fensterflügel schaffen einen perspektivischen Durchblick, eingerahmt vom Interieur. Doch direkt im nächsten Moment nimmt Matisse diese Raumtiefe wieder zurück: Durch die grell-flachen Farben und die skizzenhafte Malweise verschmilzt Vordergrund und Hintergrund optisch zu einer bunten, flachen Fläche. Wir sehen eben nicht durch ein perfekt illusionistisches Fenster in eine ferne Realität, sondern sehen Farbe auf der Leinwand, die uns an das Gemalt-Sein erinnert.

Besonders augenfällig wird diese Aufhebung der Tiefe, wenn man vergleichend ein natürlicheres Fensterbild betrachtet. Ein Maler wie Gustave Caillebotte hätte – und tat es in Werken wie Mann auf dem Balkon – den dunkleren, detaillierten Vordergrund (Balkon) deutlich vom in die Tiefe führenden, heller werdenden Hintergrund (Stadtblick) unterschieden. Matisse hingegen nivelliert die Distanzen: Die Boote draußen am Horizont sind mit denselben kräftigen Orangerot- und Blautönen gemalt wie die viel näheren Fensterrahmen und Blumentöpfe. Der Effekt ist, dass der Hafenblick draußen fast genauso präsent und flächig wirkt wie die Gegenstände drinnen. Der Ausblick durch das Fenster dominiert sogar – er leuchtet so stark, dass er wie ein eigenes „Bild im Bild“ erscheint, eingefasst vom Fensterrahmen wie von einem Rahmen eines Gemäldes. Gleichzeitig haben die angrenzenden Innenflächen (Wände, Fensterrahmen) so ungewohnte Farben, dass sie kaum noch als dreidimensionale Wände zu identifizieren sind. Die Grenze zwischen Drinnen und Draußen verwischt in diesem Bild malerisch.

Diese Komposition aus verschachtelten Rahmen – Fensteröffnung, Fensterflügel, Oberlicht, Balkonbrüstung – erzeugt eine Art visuellen Dialog zwischen Innen- und Außenraum. Kunsthistoriker haben darauf hingewiesen, dass Matisse hier bewusst die traditionelle Fensterbild-Metapher reflektiert: Seit der Renaissance galt ein gemaltes Bild als „offenes Fenster“ zur Wirklichkeit. Matisse kehrt dieses Konzept um, indem er ein offenes Fenster malt, das jedoch so betont gemalt ist (durch sichtbare Striche und antiillusionistische Farbe), dass es die Autonomie der Malerei betont. Wir vergessen nie, dass wir vor einem Gemälde stehen und nicht vor einem echten Fenster – diese Meta-Ebene macht Open Window zu einem Schlüsselmoment der Moderne. Inhaltlich kann man auch eine poetische Dimension sehen: Das offene Fenster symbolisiert die Öffnung zur Welt, zur Freiheit und zum Licht der mediterranen Natur. Matisse, der kurz vor 1905 schwierige Jahre und künstlerische Krisen hatte, fand in Collioure neue Inspiration – das geöffnete Fenster könnte auch als Sinnbild für diesen Aufbruch in ein befreites künstlerisches Sehen gelesen werden. So verbindet das Bild Innen und Außen nicht nur räumlich, sondern auch seelisch: Der intime Innenraum (Atelier/Balkon) öffnet sich in eine vibrierende Außenwelt, was ein Gefühl von Lebendigkeit und joie de vivre vermittelt, das Matisses Werk fortan prägen sollte.

Tasse ROSE AND RED LOOP Vorderansicht,  handgefertigtes Keramikobjekt von Alice Del Ferraro
Die Tasse OPEN WINDOW von Alice del Ferraro

Von der Leinwand zur Keramik: Alice del Ferraros Tasse OPEN WINDOW

Nicht nur in der Malerei, auch in angewandter Kunst lebt der Geist von Matisses Offenem Fenster weiter. Ein Beispiel dafür ist die Keramikkünstlerin Alice Del Ferraro, die in Italien handgefertigte, farblich kühne Keramikobjekte schafft. Sie hat eine Tasse kreiert, die den Titel Open Window trägt – eine direkte Hommage an Matisses Collioure-Motiv. Diese Keramiktasse wirkt tatsächlich „wie ein Ausschnitt aus einem mediterranen Gemälde“, mit roséfarbenen Flächen, wilden Pinselspuren in tiefem Blau und kleinen roten Akzenten. Die Farbgebung der Tasse zitiert augenzwinkernd die Palette von Matisses Gemälde: Zarte Rosa- und Pinktöne neben kräftigem Blau und leuchtendem Rot wecken unweigerlich Assoziationen an einen Blick auf das Mittelmeer bei Sonnenuntergang. Der Henkel der Tasse ist ein auffälliger Rundgriff in sattem, glasiertem Rot – formal ein beinahe strenges geometrisches Element, das im Kontrast zur organisch-unregelmäßigen, handgeformten Tassenform steht. So treffen hier „Geometrie und Geste“ aufeinander, wie die Künstlerin es beschreibt: Das Kreisrunde und Perfekte des Henkels kollidiert spielerisch mit der freien, spontanen Bemalung der Tasse. Genau dieses Spannungsverhältnis war schon bei Matisse zu finden – man denke an die exakte rechteckige Fensterform versus die frei aufgetragenen Farbflächen im Gemälde.

Alice Del Ferraros Keramik überträgt also die fauvistischen Farbprinzipien ins Alltägliche. Ihr Stil lässt erkennen, was es bedeutet, sich „ganz wild den Farben hinzugeben“: Die Künstlerin wählt Farben intuitiv und mutig, ohne sich von naturgetreuen Vorlagen einschränken zu lassen, ähnlich wie die Fauves es taten. In ihren Stücken verbindet sie Kunst und Gebrauchsgegenstand – jede Tasse ist ein Unikat und ein kleines Kunstwerk für sich. So wird etwa auch die Tasse Matisse Loop, ein anderes von Matisse inspiriertes Modell, als „kleines, nutzbares Kunstwerk“ beschrieben, das daran erinnert, dass Kunst frei und verspielt sein darf. Diese Philosophie spürt man auch bei der Open Window-Tasse: Sie ist mehr als ein Trinkgefäß, vielmehr eine Einladung: „zum Trinken, zum Staunen, zum Tagträumen“. Mit jedem Schluck Kaffee oder Tee kann der Benutzer sich an die leuchtenden Farben und die Mittelmeer-Stimmung erinnern.


Der Brennofen von Alice del Ferraro in ihrem Atelier in Rom, die Tassen sind gerade frisch bemalt und erhalten ihren Glanz beim Brennen.

Interessanterweise knüpft Del Ferraro mit ihrer Keramik auch an Collioure an, obwohl sie selbst aus Italien stammt. Collioure als Ort steht sinnbildlich für mediterrane Keramiktraditionen und Handwerkskunst – in vielen südeuropäischen Küstenorten gibt es eine reiche Kultur bunter Keramik. Die Tasse Open Window fängt dieses südländische Lebensgefühl ein: Man könnte sich vorstellen, man sitzt in Collioure auf einem Balkon, blickt auf das türkisblaue Meer und genießt das Farbenspiel der Blumen und Boote, während die Meeresbrise hereinweht. Del Ferraros Tasse holt genau dieses Gefühl in den Alltag. Die kräftigen Farben wecken morgens die Sinne und schaffen eine Atmosphäre von Sommer, Licht und künstlerischer Inspiration in der eigenen Küche. So wie Matisse einst meinte, Kunst solle wie ein bequemer Sessel wirken, der den Betrachter erfreut und entspannt, so bietet diese Keramiktasse einen kleinen Moment der Freude und Ästhetik im Tageslauf. Die verschmelzenden Farben auf ihrer Oberfläche bringen einen Hauch von Fauvismus ins häusliche Leben – eine Erinnerung daran, die Welt hin und wieder mit den staunenden Augen eines Künstlers zu betrachten.

Zusammenfassend zeigt sich, dass Henri Matisses Open Window, Collioure nicht nur ein Meilenstein der modernen Malerei ist, sondern bis heute kreativ nachwirkt. Die leuchtenden Farben und die Idee vom offenen Fenster zur Welt haben Künstlerinnen wie Alice Del Ferraro inspiriert, diese Vision in neue Kontexte zu übertragen. Ihre Keramiktasse verbindet Kunstgeschichte und Alltagskultur: Sie vereint die farbliche Freiheit und Lebensfreude der Fauves mit einem funktionalen Objekt und bringt so ein Stück mediterrane Kunst in unser tägliches Leben. In diesem Dialog zwischen Matisse und der modernen Keramikkunst wird spürbar, was Fauvismus letztlich ausmacht – die feurige Hingabe zur Farbe und die unmittelbare Vermittlung eines Lebensgefühls von Freiheit, Wärme und kreativer Lust.

 

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Literatur:

National Gallery of Art: Henri Matisse – Open Window, Collioure. Sammlungseintrag. Online: https://www.nga.gov/collection/art-object-page.46488.html

Smarthistory: Matisse, Open Window, Collioure. Kunsthistorische Analyse. Online: https://smarthistory.org/matisse-open-window-collioure/

John Klein: Matisse and Decoration. Yale University Press, 2001.

Gilles Néret: Henri Matisse. Cut-outs. Drawing with Scissors. Taschen Verlag, 2003.

Georges Duthuit: The Fauvist Painters. Skira, 1950.

Jack Flam: Matisse: The Man and His Art, 1869–1918. Cornell University Press, 1986.

Museum of Modern Art, New York: Henri Matisse: A Retrospective. Ausstellungskatalog, 1992.

Derain, André: Brief an Maurice de Vlaminck, Sommer 1905. Zitiert nach John Klein (2001) und Gilles Néret (2003).