Zwischen Mode, Macht und Materialpoesie

Ob im Ölgemälde von Lucas Cranach dem Älteren, in einem Musikvideo der 2000er oder als Recyclingobjekt zeitgenössischer Künstler:innen – die Gliederkette hat Geschichte. Und zwar eine, die von Statussymbolen, Stilmitteln und Statements handelt.

Detailaufnahme einer goldenen Gliederkette mit flachen, ca. 0,5cm großen Gliedern aus den 2000er-Jahren azf weißem Grund

Eine goldene Gliederkette aus den 2000ern. Foto: amao.art

Denn schon in der Renaissance trugen betuchte Bürger:innen und Adlige die sogenannte Hobelspankette, die alles andere als nur Bling-Bling war. Obschon die Herstellung damals natürlich aufwendig und das Material – meist vergoldetes Metall mit Kupferkern – sehr kostbar waren.

Schmuck als Sprache

Die gedrehten Gliederketten aus Gold kamen im 16. Jahrhundert auf – kurz nach dem Beginn der Reformation. Neben anderen, deutlich größeren Umwälzungen, war diese Epoche auch stilprägend: Das Dekolleté wurde wieder salonfähig, und die Haltung zu Schmuck veränderte sich grundlegend.

Porträt eines Mädchens aus der Cranach-Werkstatt mit üppiger Hobelspankette. Die goldfarbenen Glieder kontrastieren mit dem roten Gewand – höfische Repräsentation, 16. Jahrhundert.Eine Prinzessin von Sachsen, Lucas Cranach d. Ä., 1925-1930, National Gallery of Art, Washinton, Foto: Alves Gaspar 

Vor allem im reformierten Adel änderte sich die Bildsprache im Umgang mit Edelmetall. Und obwohl protestantische Ethik oft mit „Schlichtheit“ gleichgesetzt wird, war Prunk keineswegs verpönt – er wurde nur neu gerahmt. Gold und Pelz blieben, aber nicht als persönliche Eitelkeit oder sakrales Material, sondern als Zeichen für Amtswürde und moralische Ordnung. Die Hobelspankette wurde zum Ornament einer sichtbaren Tugend. 

Ein schmaler Grat zwischen Umcodierung und Schönreden.

Übertrieben schön: Hobelspanketten in der Kunstgeschichte

Fast niemand inszenierte die Hobelspankette so wirkungsvoll und häufig, wie Lucas Cranach der Ältere und die Mitarbeiter seines Ateliers. In den Porträts und Allegorien sind sie nicht zu übersehen: halsfüllend, detailreich, manchmal fast absurd groß.  Aber auch hier ist die Kette weniger Zierde als Zitat – eine goldene Linie zwischen Schönheit und Macht.

Porträt einer Ratsherren- und Kaufmannsgattin aus der Cranach-Schule: Die Dargestellte trägt vier übereinanderliegende Hobelspanketten, dazu aufwendige Stickerei, Ringe und Kopfschmuck. Ein Beispiel der Schmuckkultur um 1530.Das Bildnis Anna Buchner, geborene Lindacker, zeigt, das nicht nur Adligen auf die Gliederkette als Schmuckstück und Standessymbol zurückgreifen. Buchner war Teil des gehobenen Bürgertums und Frau eines Ratsherrn und Kaufmanns. Lucas Cranach d. Ä., um 1520, Minneapolis Institute of Art, Washinton, Foto: Alves Gaspar

Material mit Haltung: Carla Movias Neuinterpretation

Fast 500 Jahre nach Cranach und unzähligen Reinterpretationen –  so zum Beipsiel im Hip Hop der 90er und 2000er –  greift die Goldschmiedin und Schmuckdesignerin Carla Movia das Motiv der Gliederkette erneut auf. Formal vertraut, materiell aber radikal anders. Sie verbindet die Form der Gliederkette mit Recyclingmaterialien – nämlich ausgedienten Filzstiften und Textmarker – und fertigt aus deren Hülsen die Kettenglieder. Ihre Designs bewegen sich damit referenziell zwischen der Goldschmiedetradition der Gliederketten und einer modernen Materialpoesie, die auch einen aktuellen Gesellschaftskommentar enthält.

Ein Model trägt an einer großen Sonnenbrille eine Gliederkette mit achteckigen Gliedern in pastelligen Tönen, die aus den Hülsen alter Filzstifte bestehen.Die Brillenkette LOOP von Carla Movia

Sie malt sich eine Zeit aus, in der die Welt, wie wir sie kennen, längst vergangen ist. Die Werkstoffe der neuen Gesellschaft sind nicht Gold, Perlen oder Edelsteine – von unserer heutigen Gesellschaft als Ressource bereits aufgebraucht – sondern das, was wir zurückgelassen haben: Kunststoff in leuchtenden Farben, als Relikte unserer ausgedienten Konsumkultur.

Und so wird bei ihr dieses ehemals goldene und standesmässige Schmuckobjekt zu einem Luxus der sich auch hier nicht alleine aus dem Material selbst, sondern aus dem Bewusstsein für das speist, was erzählt wird. Und welche Bedeutung das Material für uns heute und zukünftig hat. 

Ein Model trägt eine Gliederkette der Schmuckdesignerin Carla Movia, deren große Glieder in pastelligen, aber kräftigen Farben aus recyclten Hülsen von Textmarkern bestehen.

Die Kette ORBIT von Carla Movia

Gleiche Form, immer neu

Ob bei Cranach, Tupac oder Movia: Die Gliederkette ist ein wandelbares Zeichen. Die Materialien ändern sich, die Bedeutungen shiften, aber eines bleibt: Schmuck ist nie nur Schmuck.

 

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Literatur: 

Bayerisches Nationalmuseum: Vergoldete Kette mit 36 Gliedern. Sammlungseintrag. Online: https://www.bayerisches-nationalmuseum.de/sammlung/00038724

Les Enluminures: Living Nobly – Jewellery and Identity in Renaissance Germany. Ausstellungskatalog. Online: https://www.lesenluminures.com

Cranach Digita Archive. Online: https://lucascranach.org/

D. Bilak Praxis: Jewelry Reconstruction Based on Cranach Paintings. Online: https://dbilakpraxis.com/jewelry/

The Science Survey (2024): Ice Cold, but Never Out of Style: The Bling That Built Hip-Hop. Online: https://thesciencesurvey.com/arts-entertainment/2024/12/24/ice-cold-but-never-out-of-style-the-bling-that-built-hip-hop/

Sciences Po (2022): Elvan Zabunyan – The Body Gold. Online: https://www.sciencespo.fr/artsetsocietes/en/archives/5763